Frau Lanfermann, wie kam es zur Idee von textil trainer?

Die Textilbranche leidet unter dem Fachkräftemangel. In Sachsen liegt die Nachfrage mehr als 1.000 Stellen über dem Angebot. Dabei gehen wir von 12.000 Angestellten in der Branche in Sachsen insgesamt aus. Wir haben hier also einen klaren Engpass. In der Konsequenz stellen viele Textilbetriebe Seiteneinsteiger ein. In manchen Firmen machen diese 50% der Angestellten aus. Berufsbilder wurden immer mehr zusammengelegt. Früher gab es gesonderte Ausbildungen zur/zum Weber:in oder Stricker:in. Heutzutage ist das alles zum Ausbildungsberuf „Textilmaschinen- und anlagenführer:in“ zusammengefasst. Und auch hier sind die Kohorten an den Berufsschulen klein. Entsprechend geben die Verlage auch kaum neues Lehrmaterial heraus. Die Textilindustrie hat durch die Firmenschließungen nach der Wende leider den Ruf als unsicherer Arbeitgeber. Dabei gibt es hier in diesem Sektor viele interessante Firmen. Textilien finden sich nicht nur in unserer Bekleidung, sondern auch als textile Schneepisten, in der Damenhygiene oder als Seile für Aufzüge. Damit haben sie ganz unterschiedliche Anforderungen: Mal müssen sie feuerfest sein, mal saugfähig, mal große Gewichte tragen. Wir wollen mit dem textil trainer zeigen, wie vielfältig die Branche ist. 

Wie viele monatliche User:innen hat das Angebot?

Lernende registrieren sich einmalig kostenlos und können das Angebot dann unbegrenzt nutzen. Im Juli hatten wir 98 neue Registrierungen. Insgesamt gibt es schon über 2.900 Accounts. Etwa ein Drittel davon kommt aus Sachsen.

Accounts aus Kanada & Südkorea

Wie würden Sie die Zielgruppe beschreiben und gilt das Angebot nur in Sachsen?

In Sachsen sehen wir einen besonders hohen Bedarf an Bildungsangeboten für Seiteneinsteigende in der Branche. Diese sind daher unsere primäre Zielgruppe. Von den Unternehmen, die wir gefragt haben, nutzen ca. 60% den textil trainer für diese Zielgruppe. Grundsätzlich steht die Plattform aber allen, von Hobbyschneider:innen bis zu alten Hasen, offen. Wir haben die Plattform insbesondere für und mit sächsischen Firmen konzipiert und im Freistaat besonders beworben. Das Grundlagenwissen ist aber natürlich überall gleich und wird auch überall gebraucht. Wir haben auch Accounts aus Kanada oder Südkorea.

Woher beziehen Sie die Inhalte für textil trainer?

Die Inhalte richten sich hauptsächlich an Seiteneinsteigende und sind damit Grundlagenwissen. Deshalb beziehen wir uns auf gängige Lehrbücher und Fachliteratur. An der Universität haben wir zu vielen Themen auch eigenes Lehrmaterial. Einige Kurse wurden für uns von den jeweiligen Expert:innen aus der Praxis zusammengestellt. 

Bildschirm Software textil trainer

Unterstützung vom Weltmarktführer

Praxis ist ein gutes Stichwort: Wie viele Unternehmen sind involviert?

Viele sächsische Firmen sind uns im Alltag gar nicht so bekannt, weil sie nicht für Endkund:innen produzieren. Wir haben viel Zuarbeit von O-tex aus Flöha erhalten, die Chemiefasern veredeln. Ein anderer großer Unterstützer war Norafin, ein Vliesstoffhersteller aus dem Erzgebirge. Auch Hersteller von Maschinen wie Terrot oder Karl Mayer haben am textil trainer mitgewirkt. Wir haben auch Material von Groz-Beckert erhalten. Die Firma stammt aus Baden-Württemberg und ist Weltmarktführer für Maschinennadeln. Insgesamt haben uns 18 Firmen bei den Inhalten geholfen, Texte gegengelesen, geprüft, ob alles fachlich korrekt und das Relevante für ihre Arbeit enthalten ist. 86 Firmen haben Bilder oder Videos beigesteuert, die Nutzer:innen einen Einblick in die betriebliche Praxis geben. 

Inwiefern trägt Chemnitz als traditioneller Industriestandort zum Erfolg von textil trainer bei?

Darüber, wie wichtig Chemnitz und die Region geschichtlich für die Textilindustrie waren, lässt sich gar nicht genug sagen. Auch unsere Universität ging aus einer Gewerbeschule hervor, die hauptsächlich für die Textilbranche ausgebildet hat. Unsere Professur steht auch heute in gutem Kontakt mit den Firmen in der Region. Auch der Verband der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie und das Sächsische Textilforschungsinstitut, die den textil trainer beide tatkräftig unterstützen, sitzen in unserer Stadt.

Das Angebot ist für alle kostenlos. Wie finanziert sich textil trainer?

Der textil trainer wurde in den vergangenen drei Jahren aus Mitteln des Europäischen Strukturfonds (ESF) finanziert. Das sind vom sächsischen Landtag beschlossene Mittel. Uns ist es wichtig, dass Bildung für alle frei zugänglich ist. Deswegen möchten wir sicherstellen, dass die Inhalte auch zukünftig kostenlos zur Verfügung stehen. Mit welchen Mitteln die Plattform in Zukunft weiterentwickelt wird, ist noch nicht festgelegt. 

Wie ein Lehrbuch - nur digital

Wie können Lehrinhalte an Berufsschulen optimal ergänzt werden?

Berufsschulen können den textil trainer wie ein Buch als Lernmedium einsetzen. Jeder Kurs endet mit einem Quiz. Lehrkräfte können sich also von ihren Schüler:innen die Zertifikate zeigen lassen und wissen damit, dass diese den Kurs abgeschlossen haben. Gerade in Zeiten von digitalem Unterricht ist das eine super Ergänzung zur Lehre. Klassen können natürlich auch andere Fragen gestellt bekommen, deren Antworten sie in der Plattform finden sollen.

Ist eine Übertragung des Konzeptes auf andere Berufsgruppen denkbar?

Innerhalb der Branche ist der textil trainer für sehr viele verschiedene Berufe ein hilfreiches Lernmedium. Mitarbeitende in der Verwaltung oder im Vertrieb eines Textilunternehmens haben in der Regel kein textilspezifisches Wissen. Auch sie können mit dem Tool lernen. 

Grundsätzlich sind ähnliche E-Learning Plattformen auch für andere Branchen denkbar. Digitalisierung, auch von der Lehre, ist ja gerade in aller Munde. Bei uns hat die Einbindung von Firmen in die Inhaltserstellung sehr gut geklappt, was keine Selbstverständlichkeit ist. Das würden wir anderen Projekten auch wünschen.

Die Förderung für das Projekt ist Ende August ausgelaufen. Gibt es Ideen zur Finanzierung?

Wir haben eine große Sammlung an Ideen und möglichen Kooperationspartner:Innen. Dabei geht es uns nicht nur um die Erstellung weiterer Inhalte im bisherigen Stil. Wir denken über die Produktion von Videos oder interaktiven Simulationen von Maschinen nach. Unsere Nutzenden wünschen sich außerdem mehr Austausch untereinander, das müsste moderiert werden. Wir können uns auch gut Projekte vorstellen, in denen Menschen mit Migrationshintergrund sprachlich und didaktisch mit dem textil trainer auf den sächsischen Arbeitsmarkt vorbereitet werden. An Ideen mangelt es also nicht, dafür leider noch an der passenden Fördermöglichkeit. 

Frau Lanfermann, Vielen Dank, für das Gespräch!